„Die Krankenhausreform bleibt“

Nina Warken empfängt in ihrem neuen Büro im Gesundheitsministerium in Berlin Mitte. Bis auf ein paar Möbel ist es noch leer. Erst vor wenigen Tagen ist Amtsvorgänger Karl Lauterbach ausgezogen.
Frau Ministerin, Ihre Nominierung als Gesundheitsministerin war für viele eine Überraschung. Wie überrascht waren Sie selbst?
Wer Politik macht, will Verantwortung übernehmen, da bin ich keine Ausnahme. Man weiß aber natürlich nie, ob man die Möglichkeit dazu bekommt. Insofern war das Angebot, Ministerin zu werden, auch für mich eine Überraschung. Aber eine sehr schöne.
Wie haben Sie davon erfahren?
Friedrich Merz hat mich angerufen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, das Gesundheitsressort zu übernehmen. Ich habe das dann natürlich erst mit meiner Familie besprochen, aber schließlich schnell zugesagt.
Ohne Bedenkzeit?
Ich gehe mit Respekt an die Aufgabe heran. Mir ist bewusst, welche Herausforderungen mich erwarten. Aber ich musste nicht lange nachdenken. Der Herausforderung will ich mich stellen.
Ihr Vorgänger Karl Lauterbach galt als profiliertester Gesundheitspolitiker des Landes. Sie haben bislang mit Gesundheitspolitik eher wenig zu tun gehabt. Ist das ein Nachteil?
Das kann sogar ein Vorteil sein. Ich schaue unvoreingenommen auf die Themen. Ich bin weder vorbelastet noch parteiisch, wenn ich jetzt in den offenen Dialog mit Ländern, Krankenkassen, Ärzteschaft, Pflege, Apothekern, Krankenhausvertretern und allen anderen Interessengruppen im System trete. Das kann helfen, neue Lösungen zu finden. Und auch wenn ich nicht im Gesundheitsausschuss war, habe ich mich als Wahlkreisabgeordnete und Rechtspolitikerin immer wieder mit Gesundheitspolitik befasst. Als Mutter von drei Söhnen und gesetzlich Versicherte kenne ich das Gesundheitswesen auch aus eigener Anschauung sehr genau.

Nina Warken im Gespräch mit den RND-Korrepondenten Andreas Niesmann (2. v.r) und Tim Szent-Ivanyi (rechts). Mit am Tisch sitzt Pressesprecher Hanno Kautz (2. v.l.)
Quelle: Sebastian Rau
Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger?
Darum geht es nicht. Ich will dafür sorgen, dass sich die Menschen in ganz Deutschland unabhängig vom Einkommen oder Wohnort auf eine gute, erreichbare und bezahlbare Gesundheitsversorgung verlassen können. Das ist mein Ziel, und um das zu erreichen, werde ich meinen eigenen Weg finden.
Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung ist extrem angespannt. Bis 2027 soll eine Kommission Reformvorschläge ausarbeiten. Wollen Sie so lange warten?
Nein, wir werden deutlich schneller aktiv werden. Die Kommission muss zügig eingerichtet werden, das ist keine Frage. Aber wir müssen das Gesundheitssystem sehr schnell effizienter machen. Der Koalitionsvertrag sieht dafür eine Reihe von Möglichkeiten vor. Die Einführung des Primärarztprinzips zum Beispiel, wonach der Hausarzt in der Regel die erste Anlaufstelle für Patienten ist, werden wir schnell umsetzen.
Ist es überhaupt eine gute Idee, Patienten für jeden Facharztbesuch erst zum Hausarzt zu schicken? Schon heute fehlen 5000 Hausärzte.
Durch das Hausarztmodell bekommen wir mehr Steuerung und mehr Ordnung in das Gesundheitssystem und können zielgerichteter behandeln. Der Vorteil für die Patienten ist die Termin-Garantie, die wir gleichzeitig einführen. Der Hausarzt legt einen Korridor für den Facharzt-Termin fest, und wenn der in der Frist nicht zustande kommt, können sich Patienten auch von Fachärzten in Krankenhäusern behandeln lassen. Den Mangel an Hausärzten müssen wir davon losgelöst betrachten – und Anreize für junge Medizinerinnen und Mediziner schaffen, damit sich diese für den Hausarztberuf begeistern.

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Ob ein Hausarzt-Modell Einsparungen bringt, ist allerdings umstritten. Die Krankenkassen fordern umgehend ein Sparprogramm, um die Finanzen zu stabilisieren. Was sagen Sie?
Ich werde jetzt nicht einzelne Vorschläge kommentieren. Aber Sie können sich sehr sicher sein, dass meine Mitarbeiter und ich die dramatische Lage der Krankenkassen im Blick haben. Klar ist: Wir können nicht bis zur Vorlage der Kommissionsergebnisse 2027 warten. Wir werden jetzt prüfen, ob und wie wir kurzfristig reagieren müssen, und dann schnell entscheiden. Dazu werde ich zeitnah mit allen Akteuren im Gesundheitswesen in den Austausch treten.
Kommt ein derartiges Notpaket noch bis zur Sommerpause?
Zunächst geht es darum, das schnell umzusetzen, worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben: das Primärarztsystem, die Weiterentwicklung der Krankenhausreform, die Notfall- und Rettungsdienstreform. Wir werden zügig, aber nicht hektisch handeln. Mein Ziel ist, Ruhe in die Beitragsentwicklung zu bringen. Die Menschen müssen wieder Vertrauen fassen.
Was würden aus ihrer Sicht bei der Stabilisierung helfen? Mehr Steuerzuschüsse für die Krankenbehandlung von Bürgergeld-Empfänger zum Beispiel?
Rein theoretisch ist das richtig. Denn das Problem ist offensichtlich: Die Beiträge der Jobcenter reichen nicht zur Deckung ihrer Gesundheitskosten. Da gibt es eine Schieflage. Darüber werden wir reden.
Sieht Finanzminister Lars Klingbeil das genauso? Immerhin geht es um zehn Milliarden Euro.
Es geht um ein Gesamtpaket, um Beitragssatzerhöhungen möglichst zu vermeiden. Das werden wir im Konsens mit der gesamten Regierung schnüren.
Ein hoch umstrittenes Thema ist die Krankenhausreform ihres Vorgängers. Weichen Sie sie auf?
Die Krankenhausreform bleibt. Wir werden aber mit den Ländern sprechen und das Gesetz bis zum Sommer anpassen, um eine flächendeckende Versorgung des ländlichen Raumes sicherzustellen. Da reden wir nicht über ein neues Gesetz, sondern über sinnvolle Korrekturen. Ich will die Krankenhausreform verbessern – nicht verwässern.
Auch in der Pflege ist die Finanzlage akut. Die Pflegekassen warnen, dass das Geld schon im Sommer oder Frühherbst nicht mehr reichen wird. Was unternehmen Sie?
Tatsächlich haben wir auch in der Pflege drängende Probleme. Wir müssen Zeit gewinnen, um die notwendigen grundsätzlichen Reformen in der Pflegeversicherung anzugehen. Die dafür vorgesehene Bund-Länder-Arbeitsgruppe werden wir jetzt schnell aufs Gleis setzen, aber sie braucht dann noch einige Monate Zeit, um Ergebnisse vorzulegen. Bis dahin sind kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflegefinanzen dringend nötig.
Welchen Plan haben Sie?
Der Bund schuldet der Pflegeversicherung mehr als fünf Milliarden Euro für Ausgaben während der Pandemie, etwa für Tests oder den Pflegeschutzschirm, der viele Einrichtungen vor der Schließung bewahrt hat. Das halte ich für problematisch, weil es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben gehandelt hat. Dafür braucht die Pflegeversicherung einen Ausgleich. Darüber müssen wir reden. Aber das ist nur eine mögliche Maßnahme von vielen. Denkverbote darf es nicht geben, wenn es darum geht, die Pflegefinanzen kurzfristig zu stabilisieren.
Diese Rückzahlung war im Papier der Gesundheits-Arbeitsgruppe enthalten, wurde aber bei der Endfassung des Koalitionsvertrags gestrichen. Sie halten Sie dennoch aufrecht?
Es geht um eine Lösung, ein Gesamtpaket - nicht um eine einzelne Forderung. Wir müssen das gemeinsam in der Koalition besprechen. Aber ich bin überzeugt: Wir werden das schaffen.
Was muss bei der Strukturreform der Pflege aus Ihrer Sicht unbedingt angepackt werden?
Wir müssen auf alle Fälle die hohen Eigenanteile für Pflegeheimbewohner in den Blick nehmen. Das besorgt viele Menschen. Auch das Thema Fachkräftemangel werden wir angehen. Hier gibt es gute Vorarbeiten meines Vorgängers, etwa zur Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufs. Da haben wir als Union immer gesagt, dass die Richtung stimmt. Wir schauen jetzt, wo noch Änderungen nötig sind.
Bisher wurde nur die Pflegebeauftragte der Regierung benannt, aber weder der Drogen- noch der Patientenbeauftragte. Was passiert mit den Ämtern?
Alle drei Ämter haben sich bewährt. Die Pflegebeauftragte ist schon benannt. Und es wird künftig auch einen Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen und einen Patientenbeauftragten geben, inklusive ihrer jeweiligen Arbeitsstäbe. Das Thema Drogen wird auch in dieser Wahlperiode eine wichtige Rolle spielen, und die Patienten brauchen einen Ansprechpartner. Beide werde ich in Kürze ernennen.
Mit wem?
Warten Sie es ab.
Bleiben wir beim Thema Drogen. Die CDU wollte die Cannabis-Legalisierung eigentlich rückgängig machen, nun ist mit der SPD bis Herbst eine Evaluierung vereinbart, was ohnehin schon im Gesetz vorgesehen ist. Das klingt nach Nachgeben. Oder wollen sie weiterhin eine Rücknahme?
Meine Haltung zur Cannabis-Legalisierung hat sich durch mein neues Amt nicht geändert. Ich halte die Freigabe nach wie vor für falsch. Aber wir haben vereinbart, die Folgen der Freigabe zu analysieren, bevor wir entscheiden, wie es weitergeht. Daran halte ich mich.
Union und SPD haben sich vorgenommen, die Zahl der Organspender zu erhöhen. Sie selbst lehnen eine Widerspruchslösung ab. Wie wollen Sie dann das Ziel erreichen?
Gegner und Befürworter einer Widerspruchslösung sind sich doch einig, dass die Situation für die Menschen, die dringend ein Spenderorgan benötigen, verbessert werden muss. Ich würde mich freuen, wenn aus der Mitte des Parlaments ein neuer Vorstoß kommt, um mehr Menschen zum Ausfüllen eines Spenderpasses zu bewegen und dem Organspenderegister endlich zum Erfolg zu verhelfen. Schon eine Debatte über die Organspende hilft ja, die Bevölkerung stärker für das Thema zu sensibilisieren.
Was wird das erste Gesetz sein, dass Sie auf den Weg bringen?
Wir haben viele Gesetze in der Pipeline. Am schnellsten lässt sich aber der Missbrauch von Lachgas als Partydroge verbieten. Dafür setze ich mich schon seit Jahren ein. Lachgas ist kein harmloser Spaß, sondern insbesondere für Kinder und Jugendliche mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Das reicht von Gefrierverletzungen über Ohnmachtsanfälle bis zu hin zu bleibenden Nervenschäden oder Psychosen. Auch die EU-Kommission hatte schon grünes Licht gegeben. Ich werde so schnell wie möglich einen Entwurf ins Bundeskabinett bringen. Damit liege ich mit meinem Vorgänger übrigens auf einer Linie.
Was sieht er konkret vor?
Lachgas darf künftig nicht mehr an Minderjährige abgegeben werden. Zudem gilt ein generelles Verbot, Lachgas über den Versandhandel oder Automaten zu verkaufen. Darüber hinaus werden wir Handel und Vertreib von K.O.-Tropfen verbieten und unter Strafe stellen. Wir werden nicht weiter zulassen, dass Industriechemikalien als Vergewaltigungsdroge missbraucht werden.
rnd